Montag 8. November 2004, Region

Schön-traurig wie die Liebe
KOnzert
Die Gruppe «Bilbao-Blues» gab der Liebe am Samstag in der «Sommerlust» mit den Liedern von Weill, Brecht und Kästner eine Stimme.
Schuld ist die Urgrossmutter. Mentona Moser, Kommunistin aus rechtem Hause, stürzte aus ihrer Schaffhauser Heimat heraus - hinein in die Arme der Boheme-Szene Berlins der Dreissigerjahre. Und die kampflustige Dichterin focht am liebsten mit Kurt Weill und Bertolt Brecht Gedankenschlachten.
Gut 20 Jahre später. Schaffhausen im November an einem Samstagabend, genauer: am vergangenen Samstagabend. Auf dem Programm der «Sommerlust» steht «Bilbao Blues» - Musik und Lyrik von Kurt Weill, Bert Brecht, Erich Kästner und anderen Wortgewaltigen. Gesang und Schauspiel: Isabelle Rechsteiner (Bild), Text und Regie: Paul Rauber. Das Publikum: Brille, Weinglas, Hemden bei den Herren, farbige Schals bei den Damen. Die Bilder an den Wänden: abstrakt. Na, das wird mit Sicherheit ein intellektueller Kunstgenuss ...
Zigarrenqualm und Whiskey
Denkt man sich und irrte dennoch gewaltig. Schon das erste Stück «Bilbao Blues» von Kurt Weill lässt im Raum imaginären Zigarrenqualm und Whiskeygeruch aufsteigen. Das Keyboard seufzt vor Wehmut nach Erfolg, der ihm als Jude im Nazi-Deutschland verboten war, Wehmut nach Lotte Lenya, einst seine Frau und Muse, und Sehnsucht nach Bertolt Brecht, dem Freund und Weggenossen. Dem er nichtsdestotrotz nichts mehr zu sagen hatte. Diese Sehnsucht, Wärme und Geborgenheit teilt er, der Erfolglose, in seinen Liedern mit. Melancholisch, kühl, ironisch - und immer auf der Suche nach Liebe.
Leise und ironisch
Isabelle Rechsteiner verkörpert diese Suche nach Liebe auf wundervolle Weise. Sie ist leise bei dem Blues, ironisch bei «Er war ein Mädchen und ein Matrose» (Text: Willy Dehmel, Musik: Hans Grothe). Sie packt das Publikum mit ihrer unterdrückten Wut bei «Der Abschiedsbrief» (Text: Erich Kästner, Musik: Kurt Weill). Und fragte sich ratlos, wie wohl «die andere» ihres Mannes sei in «je voudrais la connaître» von Jean-Jacques Goldmann.
Höhepunkt der weiblichen Sicht ist ihre Version von «Männer» von Herbert Grönemeyer. Unterkühlt ironisch, gegen den Strich gebürstet. Begleitet von dem A-cappella-Gesang der Musiker Peter Nussbaumer (Piano, Akkordeon), Lucius Widmer (Kontrabass, E-Gitarre) und Martin Flüge (Schlagzeug und Percussion). Das Stück ist der Liebling des Publikums - die Musiker, ein Dreamteam. Das Leben zeigte sich an diesem Abend in all seinen Facetten. Darum verwundert es nicht, dass 70 Jahre nach der Urgrossmutter gerade ihr Urenkel Paul Rauber der Regisseur von «Bilbao Blues» ist. Und sein Lieblingskomponist Kurt Weill heisst.
Indira Das
Sommerlust
Isabelle Rechsteiner: «Bilbao Blues»




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